Gewaltprävention - Soziales Lernen

Hilfe, mein Gehirn baut um!

Pubertät zwischen Chaos, Mutproben und neuen Chancen

Die Pubertät ist eine Lebensphase, die selten leise verläuft. Türen knallen, Stimmungen schwanken, Eltern und Pädagogen verzweifeln – und Jugendliche selbst fühlen sich manchmal wie in einer Achterbahn, die sie nicht selbst steuern können. Doch hinter all dem Chaos steckt eine Phase voller Entwicklung und neuer Chancen. Wer die Pubertät besser versteht, kann sie nicht nur „überstehen“, sondern auch als wertvolle Zeit des Wachstums begleiten.

1. Das Gehirn im Umbau

„Hilfe, mein Gehirn baut um!“ – dieser Satz beschreibt die innere Realität vieler Jugendlicher treffend. Neurowissenschaftlich ist tatsächlich belegt: Das Gehirn durchläuft während der Pubertät eine Phase tiefgreifender Umstrukturierung.

Metaphern helfen, diesen Prozess zu verdeutlichen:

Festplatte neu formatieren: Alte Dateien (Kindheitserfahrungen) werden überschrieben, neue Programme (Selbstständigkeit, Identität) installiert.

Baustelle im Kopf: Straßen (Nervenverbindungen) werden neu verlegt. Manchmal gibt es Staus oder Umleitungen, bis die Verkehrsführung wieder stabil läuft.

Software-Update: Gefühle und Denken laufen auf einer Beta-Version. Abstürze gehören zum Prozess, bis das System rund läuft.

WLAN mit Störungen: Die Verbindung zwischen Emotion (limbisches System) und Vernunft (präfrontaler Cortex) ist noch instabil.

Software-Update im Kopf

Kein Wunder also, dass Jugendliche manchmal übertreiben, impulsiv handeln oder Risiken eingehen. Ihr „innerer Computer“ arbeitet mitten im Umbau.

2. Mädchen und ihre sozialen Entwicklungen

Für Mädchen steht in der Pubertät besonders die soziale Dimension im Vordergrund. Freundschaften werden intensiver, oft in engen Zweierbeziehungen, in denen Loyalität alles bedeutet. Gleichzeitig entsteht ein hoher Druck: Körperbild, Aussehen und Anerkennung durch andere rücken ins Zentrum. Konflikte verlaufen eher subtil – durch Ausgrenzung oder Lästern – statt offen.

Die sozialen Medien verstärken diesen Druck erheblich: ständige Vergleiche, Inszenierungen und die Suche nach Likes beeinflussen Selbstwert und Identität. Mädchen brauchen daher Räume, in denen ihr Wert nicht über Aussehen oder Leistung definiert wird, sondern über Persönlichkeit, Stärken und Kreativität.

3. Jungen und ihre besonderen Herausforderungen

Jungen erleben die Pubertät oft anders. Während Mädchen sich stärker über Beziehungen definieren, suchen Jungen Anerkennung über Handeln, Mut und körperliche Kraft. Risikoverhalten, Mutproben und das „Übertreiben“ gehören dazu – sei es im Sport, im Wettkampf oder in gefährlichen Situationen.

Der Grund liegt im Gehirn: Das limbische System (Gefühle, Belohnung) ist in dieser Phase hoch aktiv, während der präfrontale Cortex (Vernunft, Planung, Impulskontrolle) noch nicht voll entwickelt ist. Das führt dazu, dass Jungs häufiger die Grenzen austesten und sich in Gefahrensituationen stürzen.

Für Eltern und Pädagogen ist es wichtig, diese Energie nicht nur zu bremsen, sondern in konstruktive Bahnen zu lenken. Positive Risikofelder wie Sport, Abenteuer und Projekte bieten Möglichkeiten, Mut und Kraft sinnvoll zu erproben.

Jungen werden oft von emotionen gesteuert.

4. Kampfsport als Entwicklungsraum

Ein besonders wirkungsvolles Beispiel für solch ein positives Feld ist die Kampfkunst – etwa Budo Taekwondo oder Kickboxen im Point-Fighting-Stil. Hier verbinden sich körperliche Energie, Disziplin und Vorbilder auf ideale Weise:

Disziplin & Struktur: Klare Regeln und Rituale geben Halt.

Vorbildfunktion: Trainerinnen und Trainer wirken als wichtige Bezugspersonen außerhalb der Familie.

Selbstkontrolle: Jugendliche lernen, ihre Kraft zu beherrschen statt unkontrolliert einzusetzen.

Respekt & Fairness: Werte, die über den Sport hinaus in den Alltag wirken.

Selbstbewusstsein: Erfolgserlebnisse im Training und im Wettkampf stärken die Identität.

Teamgeist: Auch im Einzelsport entsteht soziale Bindung und Verantwortung füreinander.

5. Herausforderungen und Chancen für alle

Die Pubertät stellt alle Beteiligten vor Herausforderungen:

Jugendliche erleben Selbstzweifel, Konflikte und eine emotionale Achterbahn.

Mädchen kämpfen mit Schönheitsidealen und Gruppendruck.

Jungen mit Risikodrang und Anerkennungssuche.

Eltern müssen loslassen und gleichzeitig Halt geben.

Pädagogen brauchen Fingerspitzengefühl zwischen Nähe und Distanz.

Doch diese Phase ist nicht nur chaotisch, sondern auch voller Chancen: Jugendliche lernen Selbstständigkeit, entwickeln Kreativität, bauen Beziehungen auf und erproben ihre Zukunft. Wer sie dabei unterstützt, kann miterleben, wie aus Unsicherheit Stärke und aus Chaos Klarheit entsteht.

6. Fazit

Die Pubertät ist wie eine Großbaustelle: laut, chaotisch und manchmal nervenaufreibend. Doch jede Baustelle hat ein Ziel – etwas Neues, Stärkeres, Stabileres entsteht. Mit Geduld, Verständnis und den richtigen Rahmenbedingungen kann diese Lebensphase zu einer wertvollen Brücke zwischen Kindheit und Erwachsensein werden.

„Hilfe, mein Gehirn baut um!“ ist also nicht nur ein humorvoller Ausruf, sondern eine Einladung: zur Geduld, zum Mut und zur Freude daran, Jugendliche auf diesem Weg zu begleiten.

Zum Hintergrund

Den Vortrag mit dem Thema Pubertät habe ich im Rahmen des Kampfkunstseminars an der Black Belt Kampfkunstakademie Worms am 30.08.2025 gehalten. Im Publikum saßen Eltern, Jugendliche, Trainer und Pädagogen.

Hinweis zum Urheberrecht der Grafiken
die Grafiken in diesem Beitrag wurden mit Adobe Firefly erstellt.

Essey ist angelehnt an Martine F. Delfos (2011): Wie meinst du das? Gesprächsführung mit Jugendlichen.